Brutalismus
Harte Schale, ehrlicher Kern – die Rückkehr einer Haltung.
Der Brutalismus ist das ungeliebte Stiefkind der Moderne. Er ist einer der meist missverstandenen Begriffe aller Zeiten, was schon beim Namen anfängt: Brutalismus hat nichts mit dem Adjektiv „brutal“ zu tun, sondern leitet sich vom französischen „béton brut“ ab, das so viel wie „roher Beton“ bedeutet. Entstanden ist die Architekturströmung in den frühen 1950er Jahren unter dem Einfluss von Architekturlegende Le Corbusier und dem britischen Architektenduo Alison und Peter Smithson. Ihnen ging es nicht nur um die skulpturalen Qualitäten des Baumaterials Beton, sondern um eine neue Einstellung zum Bauen: Roh belassene Betonwände, in denen die Maserung der Holzschalungen sichtbar bleiben, sollten für Nachvollziehbarkeit und Ehrlichkeit stehen. Die konstruktiven Details wurden offengelegt und der Stil vertrat eine ästhetisch radikale, bewusst antibürgerliche Haltung. Die neue Architektur sollte geschichts- und schnörkellos sein, eine Metapher für den ideologiefreien Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit.
Problematisch für die Epoche war nur, dass neben fantastischen Raumskulpturen auch viele triviale Wohn- und Büroblocks entstanden, die durch ihre düsteren Fassaden den Ruf des Brutalismus und seine angestrebte Einfachheit zerstörten. Gehasst wurde er oft von jenen Menschen, die zwischen seinen rauen, schlichten Sichtbetonwänden wohnen mussten.