Nick Sohnemann ist Innovationsberater und forscht mit seiner Agentur Future Candy erfolgreich in den Arbeitsräumen deutscher Unternehmen. Wir wollten von ihm wissen: Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Ein Interview aus dem Jahr 2019, das wir aus unserem Archiv gefischt haben - heute genauso relevant wie damals wie wir finden.
stilwerk: Herr Sohnemann, wie sieht der perfekte Arbeitsplatz der Zukunft aus?
NS: Es gibt sicherlich nicht den einen perfekten Arbeitsplatz oder das Office 2050. Eine Sache, die wir klar beobachten, ist, dass Offices zukünftig für die verschiedenen Nutzungssituationen funktionieren müssen. Einer unserer Kunden, ein großer deutscher Konzern, setzt zum Beispiel im Büro auf Zonen. Eine Arrival Zone, dort kann man je nach Wetterlage etwa auch die Klamotten bei der Ankunft wegpacken. Gleich nebenan eine Work Zone, Meeting Zone sowie die Energy Zone zum Lunchen. Alle Bereiche sind den Anforderungen entsprechend gebaut, haben unterschiedliche Sound-Voraussetzungen, Lichtsettings, Möbel. Diese markanten Szenarien wird man in Zukunft in Unternehmen abbilden.
stilwerk: Klingt wie das Ende von Einzelbüros. Welche Technologien erwarten uns dort?
NS: Alles was sich um Remote Work dreht, ist ein spannendes Feld. Heißt im Grunde nichts anderes als, dass man die Möglichkeit hat, an Meetings teilzunehmen, ohne zu reisen. Sinnlose Geschäftsreisen kann man durch neue Technologien vermeiden. Man schaltet sich auf den Bildschirm eines fahrenden Roboters, der in einem New Yorker Office steht, während man selbst das Ganze gemütlich von Hamburg aus steuert. Augmented Reality sollte man sich auch merken. Das ist wiederum die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Excel-Tabellen und komplexe Informationen können durch eine Datenbrille direkt auf den Schreibtisch als räumliches Bild geholt werden.
stilwerk: Welche Voraussetzungen sollten für so eine Future-Office- Bewegung jetzt in Unternehmen geschaffen werden?
NS: Unternehmen sollten allgemein innovativer werden. Die Fähigkeit entwickeln, schneller zu reagieren, und Services finden, um auf Konsumentenbedürfnisse einzugehen. Doch um ehrlich zu sein, ist das Entscheidende wohl, dass Unternehmen attraktivere Arbeitgeber werden. Wir sind im Jahr 2019 – „Schuster bleib bei deinen Leisten“-Mentalitäten sind für junge Leute unattraktiv. Wir haben in Deutschland fast Vollbeschäftigung, und Menschen können sich aussuchen, wo sie arbeiten. Passen sich Arbeitsgeber nicht mit ihrem Employee Branding, Vertrauensarbeitszeiten und modernen Büros an, verlieren sie in der Zukunft ihre Mitarbeiter.
stilwerk: Und was sind die entscheidende Skills für die Arbeitnehmer von morgen?
NS: Ein hohes Energielevel. Vielleicht gibt es keine 40-Stunden-Wochen mehr, weil man die Arbeit auch in 20 Stunden erledigen kann und deshalb noch einen zweiten oder dritten Job macht. Wir leben in Zeiten der Projektwirtschaft. Das merken Unternehmen, aber eben auch Arbeitnehmer. Teamfähigkeit, Kreativität und Leidenschaft sind Basisvoraussetzungen. Aber typischerweise werden Teams in Firmen sich aus Arbeitnehmern mit Spezialwissen und besonderem Talent zusammensetzen. Das Verlangen nach Expertenwissen bedeutet für die Arbeitnehmer, dass sie sich kontinuierlich weiterbilden müssen. Denn die künstliche Intelligenz wird einfachen Jobs und Arbeiten den Garaus machen. Der Arbeitsplatz der Zukunft sieht also so aus: Es wird generell weniger Strukturen geben und viel Flexibilität abgefordert. Das wird eine sehr spannende Challenge.
stilwerk: Warum zündete die Idee von Co-Working-Spaces und mobilen Arbeitsplätzen in Deutschland erst in den letzten Jahren?
NS: Bei uns gilt das alte Prinzip „Never change a running System“. Die Businessmodelle, die heute funktionieren, sind alle vor 20 Jahren entwickelt worden, und man fährt bislang noch gut damit. Ein weiterer Grund ist, dass es viele mittelständische Familienunternehmen gibt, die lieber Dividenden ausschütten, als in neue Technologien zu investieren. Deutschland ist sehr kulturpessimistisch. Das sieht man daran, dass es wenige digitale Tech-Unternehmen aus Deutschland gibt. Man hat Angst, der First Mover zu sein und möchte lieber, dass der Mitbewerber Neuheiten testet. Diese Haltung ist unserem Wohlstand geschuldet.
stilwerk: Welche Nationen sind uns in Sachen Innovation im Office voraus?
NS: Wir denken nicht in Nationen. Man unterscheidet mehr nach ländlichen Regionen und Städten. Es gibt A-Cities und B-Cities. Hamburg, muss man ehrlicherweise sagen, ist eine klare B-Stadt und eher auf dem Level von Kopenhagen und Prag – hier kopiert man die Vorreiter. A-Städte sind London, Los Angeles, Madrid und Paris. Sie ziehen durch ihre Größe viele Innovatoren an und treiben voran. Sehr spannend ist gerade China. Als Land ist es nicht auf dem Stand der europäischen Union. Aber durch Hotspots wie Shanghai, Beijing und Sheng Zen hat es treibende Kräfte. Bis 2025 sollen im ländlichen Westchina viele Orte an schnelles Internet, Straßensysteme und digitale Strukturen angeschlossen werden. Allein, dass die Regierung die Modernisierung Chinas zentral steuert, ist irre.
Das Interview führte Silke Roth im Rahmen unseres stilwerk Magazin "Living intensified", das 2019 erschienen ist.