...und das sind Materialinnovationen aus altbekannten Gartenpflanzen oder Alltagsstoffen. Aufgepasst Design- und Architekturbranche, hier kommt die Zukunft.
Foto: Fornace Brioni "Fliesen auf Elektromüll" © Snøhetta
Text: Janina Temmen
Es ist noch gar nicht lange her, da wurden in der Designszene noch Neuheiten gefeiert. Aber new ist mittlerweile kein Aushängeschild mehr. Wenn internationale Marken ihre Kollektionen erweitern, ist es häufig ein Klassiker im frischen Gewand. So präsentierte Vitra den „TipTon“-Stuhl in einer Recycling-Variante, die „Kartell loves the planet“-Kollektion enthielt ebenfalls Recycling-Re-Editionen. Ein Grund hinzuschauen? In jedem Fall! Denn was sich lange in erster Linie für Forschungsprojekte eignete, kommt jetzt im kommerziellen Bereich an. Ein Erfolg also, wenn die Outdoor-Kollektionen von Houe oder Kettal aus recyceltem Kunststoff gefertigt werden oder Kvadrat und Heymat mit Recycling-Garnen arbeiten. Denn es zeigt, dass nachhaltig die neue Selbstverständlichkeit wird. Und das in einer Branche, die auf Skalierbarkeit und Perfektion getrimmt ist…
Die Design-Avantgarde beschäftigt sich unterdessen mit Themen wie circularity und un-wasting. Immer öfter wird transdisziplinär geforscht (Einblicke z.B. unter futurematerialsbank.com). Wenn dann Unternehmen wie Adidas, Unilever und Coca Cola engagiert sind, lauert der Vorwurf des greenwashings hinter der nächsten Ecke. Dabei zeigt es doch eine Erkenntnis: Nur gemeinsam ist diese Aufgabe zu lösen.
Bärenklau
© Atelier Schaft
Bärenklau macht selbst eingefleischten Gärtnern Angst. „Ich sehe Unkraut lieber als wilde Blumen“ trotzt Erik van Schaften. Der niederländische Künstler erforschte über Jahre die Eigenschaften der giftigen Pflanze: Nun stellt er aus dessen Fasern Platten her, die leichtgewichtig, belastbar und sogar isolierend sind. Ideal als Wandverkleidung — und sogar hübsch anzuschauen, wie Eriks‘ neuester Enwurf zeigt: Eine Wanduhr, gemacht aus Bärenklau. atelierschaft.nl oder futurematerialsbank.com
Bio-Polyester
© Bélen Dutch Dubai Curtain
Brecht Duif und Lenneke Langenhuijsen verstehen sich als multidisziplinäre Designerinnen. Anlässlich der World Expo in Dubai entwickelten die Amsterdamerinnen zuletzt einen gigantischen Textilvorhang, der aus 100% biologischem PLA-Garn besteht. Das softe, UV-stabile Bio-Textil diente dort als künstlerischer Raumtrenner. Ein Kunstwerk, aber auch ein Hoffnungsschimmer, dass erdölbasiertes Polyester bald der Vergangenheit angehören könnte… burobelen.com
Recycling-PET
© Michelle Margot
Schon seit Jahren fokussiert sich das griechische Architektenpaar Panos Sakkas und Foteini Selaki auf die 3-D-Printer-Produktion von Interiorobjekten. Dafür sammeln sie Plastikmüll, oft in sozialen Projekten wie in ihrer Heimat Thessaloniki. Das dortige Zero Waste Lab gilt als Pilotprojekt. Für die Stadt Amsterdam entwickelten The New Raw Outdoor-PETmöbel, die mit integrierten Hundetrinknäpfen überzeugen und vollständig recycelt werden können. thenewraw.org
Kaffeesatz
© Kaffeeform
Der Kaffeehype treibt ungeahnte Blüten: So fertigt Julian Lechner mit seinem Brand Kaffeeform aus den Resten des “schwarzen Goldes“ ästhetische Alltagsprodukte. Sogar den renommierten Red Dot Award gewann der Berliner schon mit seinen Mehrwegbechern aus Kaffeesatz. Das Kaffeemüll sogar in ein Lifestyle-Accessoire verzaubert werden kann, belegt Lechner nun eindrucksvoll mit den Armbanduhren, die er in Kooperation mit Lilienthal Berlin entwarf. Kaffeeform.com
Essensreste
© Filippa Wollbeck
Das „To-Go“-Prinzip bekam durch die Corona-Pandemie einen ungeahnten Hype. Die schwedische Produktdesignerin Filippa Wollbeck sah ihre Wahlheimat London dadurch im Müll versinken und konterte mit dem Bechersystem „Nomadic Coffee Ceremony“: Es sieht aus wie Keramik, fühlt sich auch so sinnlich an, ist aber ein Materialgemisch aus Eier- und Nussschalen und somit nicht nur besonders nachhaltig, sondern auch leichtgewichtig. Ein Lösungsansatz nach unserem Geschmack. filippawollbeck.com
Eierschalen
© Nature-Squared
Um Eier(-schalen) rankt sich ein generelles Missverständnis: So sind sie keineswegs schwach und zerbrechlich, wie ihr Ruf ihnen voraussagt. Sondern erstaunlich robust und sogar UV-resistent. Kein Wunder, dass sie das Interesse der Materialogin Elaine Yan Ling Ng weckten. Für das Schweizer Unternehmen Nature Squad entwickelte sie nun eine innovative Eierschalen-Komposition, aus der wunderhübsche Fliesen hergestellt werden. Mehr über die „CArrelé Collection“ unter naturesquared.com
Knöterich
© Samy Rio
Blüht schön, ist robust und hat sogar Heilkräfte: Knöterich ist eine beliebte Gartenstaude. Weil sie zum Wuchern neigt, hat sie aber auch viele Kritiker. „Invasive Pflanzen sollten nicht per sé verdrängt werden“ so Samy Rio. Er fand raus, dass Knöterich eine erstaunliche Pflanze ist, mit der sich sogar ein Möbelverbundstoff fertigen lässt. Als Beleg dafür tourt Rios‘ Tisch-Prototyp „Gardon“ aus Knöterich durch französische Galerien. samyrio.fr
E-Waste
© Snøhetta
Technikschrott ist ein wachsendes Problem, welchem sich gleich drei Designinstitutionen angenommen haben: Snohetta, Studio Plastique und Fornace Brioni forschen innerhalb ihres Projektes "Common Sands – Forite" gemeinsam und entwickelten nun aus Glaselementen von aussortierten Mikrowellen und Backöfen neue Glasfliesen. Ihr Terrazzo-artiger Look macht die Wand- und Bodenbeläge zu stylishen Hinguckern, das Knowhow des italienischen Fliesenherstellers Fornace Brioni sichert ihre erstklassige Qualität. To be continued… snohetta.com; fornacebrioni.it; studioplastique.be
Hanf, Hafer, Hopfen
© Planmaterial
Nicht weniger als die Bauwirtschaft revolutionieren wollen Hannes Stuhr, Mika Siponen und Claudius Thaler. Als ersten Schritt in diese Richtung, hat das deutsche Trio hinter Planterial nun eine leichte und vollständig auf nachwachsenden Rohstoffen basierende Hanfplatte entwickelt. Biologisch abbaubar, CO2-negativ, mit pflanzlichen statt erdölbasierten Bindemitteln. Auch mit Hafer, Hopfen und weiteren Nebenerzeugnissen der Landwirtschaft arbeitet Planterial — um damit eine gesunde Zukunft aufzubauen. planterial.com